Ein kurzer Ausflug in die ukrainische Vergangenheit...

In der letzten Woche konnte ich mit Olga das Museum des Internats bewundern. Ein Raum voller Gegenstände und Schriften aus vergangenen Zeiten der Sowjetunion und die die Ukraine und Schule prägten. 


Aufgeteilt in 3 relevante Epochen für die Ukraine und das Internat wurde die Geschichte von den Lehrern aufbereitet und anhand von Zeitzeugen nacherzählt. 


Jede Epoche wurde unter relevanten Stichworten beleuchtet, die auf Tafeln an den Wände angebracht wurden. 


Die erste Epoche


"1. Жовтня 1961р" steht in großen Lettern auf der ersten Tafel. Das Gründungsdatum der Schule. Für die Sowjetunion eine prestigeträchtige Zeit. 4 Jahre zuvor wurde "Sputnik 1", der erste künstliche Satellit in die Erdumlaufbahn geschossen und mit "Laika" das erste Lebewesen ins Weltall befördert. Der Unterricht war geprägt von glorreichen Erzählungen über den Fortschritt in der Sowjetunion. Bestätigt durch dem im gleichen Jahr ersten bemannten Flug ins Weltall mit Juri Gagarin (Юріий Гагарин). Jedes Kind kannte ihn und feierte ihn als einen Helden. 


Des weiteren steht auf der ersten Tafel das Wort, welches jedes Kind in der Schule als erstes lernt; Mama (мама). Zu Zeiten der Sowjetunion war die Schule überall gleich.  Egal ob in der Ukraine, Russland oder Kasachstan. Die Kinder trugen Schuluniformen und in jedem Land der Sowjetunion wurden die gleichen Feste gefeiert. Olga erinnerte sich an das aufwendige Annähen eines Tuches am Kragen ihrer Schuluniform, welche sie jeden Tag tragen musste. Auch heutzutage ist es nicht ungewöhnlich, dass Kinder im Anzug in die Schule kommen. Allerdings ist es auch keine Pflicht. Hinzu kommt es das viele Familien am Internat sich in Zeiten des Ukraine-Russland-Konflikts keine Uniform leisten können. Der Gedanke eines Kollektivs (колектив, das dritte Wort auf der Tafel) ist jedoch immer noch fest  in vielen Menschen verankert. Zu spüren ist dies vor allem bei vielen Versammlungen in der Schule z.B. jeden Montag . Alle Schüler versammeln sich in der Sporthalle um dem Schulleiter zu lauschen. In so welchen Momenten spürt man doch einen gewisses Nationalgefühl. Der Schulleiter berichtet über aktuelle Themen in der Ukraine und der Welt. Zuletzt zum Beispiel über die Ausmaße des Hurricanes in den USA oder über weitere Brennpunkte zwischen der Ukraine und Russland. Am deutlichsten wurde dieser Nationalgedanke für mich jedoch bei der Nationalhymne. Ich habe noch nie so viele Menschen, ob alt oder jung, eine Nationalhymne singen hören. Ich persönlich denke, dass in diesem Teil der Ukraine  Russland nicht unbedingt als das „böse, böse Nachbarland“ angesehen wird sondern es vielmehr darum geht einfach nur ein eigenständiges Land zu sein. Das Mischen von russischer und ukrainischer Sprache ist völlig normal doch seit 2013 bemüht sich die Bevölkerung nur noch ukrainisch zu sprechen. Viele Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, fingen an nur noch ukrainisch zu sprechen und die Bevölkerung tat es ihnen gleich.

So konnte ich selbst miterleben, wie ein Vater mitten im Gespräch abrupt stoppte, seinen Sohn ernst ansah und aufforderte bitte das ukrainische Wort zu benutzen.


Das letzte Wort auf der ersten Tafel beschreibt das, worauf  die Ukrainer seit Jahrhunderten immer wieder verzichten mussten: „Friede“ (мир). 

Für die Ukraine war die Sowjetunion keineswegs nur eine schlechte Zeit. Egal ob unter Polen, Deutschen oder Österreichern,  die Ukraine ist ein Land welches nie wirklich zur Ruhe kommen konnte. Innerhalb der Sowjetunion wuchs eine Gemeinschaft heran, die nicht mit unterschiedlichen Besetzungen zu kämpfen hatte und sich nun als unabhängige Ukrainer versteht.


Die zweite Epoche


Die zweite Epoche beginnt mit der Olympiade 1980 (Олімпіада – 80). Für viele Kinder in der Sowjetunion ein riesen Spektakel. Als größtes Land der Erde konnte die Sowjetunion die besten Sportler aus unterschiedlichsten Gebieten vorzeigen.  So war es nicht verwunderlich, dass auch ukrainische Sportler dort ihr Können unter Beweis stellen konnten. Olga selbst konnte sich noch sehr gut an Mischa (russisch: миша) erinnern. Das Maskottchen der Olympischen Sommerspiele flog als riesiger aufgeblasener Bär über dem Stadion in Moskau und war das Motiv für zahlreiche Souvenirs. 

Überschattet wurden die damaligen Sommerspiele durch den Boykott vieler Nationen (u.a der Bundesrepublik Deutschland und der USA). Sie protestierten damit gegen den Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan. 


Афганістан (dt. Afghanistan) ist ein zweiter bedeutender Bestandteil der ukrainischen/sowjetischen Geschichte. Das militärische Eingreifen der Sowjetunion forderte viele Opfer. Viele Wehrpflichtige aus der Sowjetunion/ Ukraine starben oder erlitten Verwundungen. Es folgten Armut und wachsende Kriminalität. Viele Menschen konnten sich nicht mit dem „Einsatz in der Fremde“ identifizieren und verloren das Vertrauen in die politische Führungskraft. 


Veränderungen mussten her, so ist es kaum verwunderlich, dass als nächstes wichtiges Stichwort „Perestroika“ (перестройка) genannt wird. Die Umstrukturierung der Sowjetunion führte zu maßgeblichen Veränderungen im Leben aller sowjetischen Länder. Die Aufhebung der Zensur förderte zwar das Nationalbewusstsein der sowjetischen Staaten, aber verbesserte nicht die Situation innerhalb der Ukraine. Der Frust  der Bevölkerung stieg und mündete in der Katastrophe von Tschernobyl (Чорнобиль). Ein einschneidendes Ereignis in der ukrainischen Geschichte. Die Armut, Trauer und die Unzufriedenheit erreichte einen Zenit.   


 3. Epoche


Das Streben nach Unabhängigkeit und Souveränität wurde innerhalb aller sowjetischen Länder größer und seit dem 1. Dezember 1991 kann sich die Ukraine, nach einem Referendum, als unabhängigen Staat sehen. Ukrainisch wurde Amtssprache und die Bevölkerung fühlte sich endlich als eigenständige Nation. Olga versicherte mir allerdings, dass die darauffolgende Zeit für die ukrainischen Bürger keineswegs schön war. Innerhalb der Sowjetunion waren die Länder spezialisiert worden. So war das „Land A“ für den Garn zuständig und „Land B“ zum Nähen. Das führte dazu, dass die Ukraine zunächst mit einem großen Umbau der Infrastruktur zu kämpfen hatte und Reformen erwartete. Das alltägliche Leben veränderte sich maßgeblich. Aus dem zuvor noch wichtigsten Bestandteil der kommunistischen Gesellschaft; dem Kollektiv, wurde die Persönlichkeit eines jeden einzelnen. 


Russische Feiertage wurden nicht mehr gefeiert und auch das Schulleben veränderte sich, so sah die Weltkarte auf einmal ganz anders aus. 


Als letzter Punkt steht auf der Tafel інновації (dt. Innovationen). 

Ein Prozess, der immer noch nicht beendet ist und hoffentlich auch nie unterbrochen wird. Durch das Fördern der einzelnen Persönlichkeiten stand die Zeit nach der Sowjetunion immer im Zeichen der Innovationen und weckte Hoffnungen für viele Menschen….


Genug Geschichte für heute. 

Als kleinen Buch- und Filmtipp empfehle ich Euch noch „Schwarze Erde – Eine Reise durch die Ukraine“ von Jens Mühling und den Film „Winter on fire – ukraine's fight for freedom“ über die Proteste auf dem Maidan.




(Von oben nach unten) 1. Oktober 1961, Mama, Friede, Juri Gargarin, Kollektiv
(Von oben nach unten) 1. Oktober 1961, Mama, Friede, Juri Gargarin, Kollektiv
(Von oben nach unten)  Olympia 80,  Afghanistan, Prestoika, Tschernobyl,  Deklaration
(Von oben nach unten) Olympia 80, Afghanistan, Prestoika, Tschernobyl, Deklaration
(Von oben nach unten) Ukrainische Souveränität, Unabhängigkeit, Persönlichkeit,  Reformen, Innovationen
(Von oben nach unten) Ukrainische Souveränität, Unabhängigkeit, Persönlichkeit, Reformen, Innovationen
Eine Schuluniform des Internats. Das weiße "Tuch" am Kragen ist das worüber Olga sprach.
Eine Schuluniform des Internats. Das weiße "Tuch" am Kragen ist das worüber Olga sprach.

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Kommentare: 2
  • #1

    Lukas (Dienstag, 03 Oktober 2017 17:08)

    Auch wenn es nur ein kleiner Einblick in die jüngere Geschichte der Ukraine war, hat er mir das Land greifbarer gemacht. Über die einzelnen Länder der ehem. Sowjetunion lernt man doch recht wenig in der Schule...

    Von mir aus darfst du gerne noch mehr über die politische Lage beziehungsweise Sicht derer, die dich umgeben, auf diese, gerade im Hinblick auf die Beziehungen mit Russland und die immer noch anhaltenden Kämpfe im Osten, sowie die Berichterstattung dazu in den Medien bloggen.
    Hier in Deutschland ist das ja kein Thema mehr in der gängigen Presse.

    Freundliche Grüße

    Lukas

  • #2

    sex telefon (Freitag, 03 November 2017 17:22)

    przybledłyby